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Besuch in Gaza

16. Mai 2010 bis zum 26. Mai 2010

Wieviel Kalorien braucht der Mensch?

Auf dieser Erde gibt es Millionen von Menschen, die unterernährt sind und wegen Unterernährung sterben, aber außer in Gaza gibt es wohl kaum an irgendeiner Stelle Menschen, die bewußt "auf Diät" gesetzt werden, um ein politisches Ziel zu erreichen.

Ich muß aufpassen, dass es im Folgenden nicht zu Missverständnissen kommt.

Wie in Deutschland nach dem Krieg gibt es in Gaza eine Besatzungsmacht, die nach dem Völkerrecht für das Wohlergehen der besetzten Bevölkerung verantwortlich ist. Dieser Verpflichtung ist die israelische Regierung in den letzten Jahren nur sehr eingeschränkt nachgekommen.

Weiterhin ist in Gaza die UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East ) tätig, die nach dem Krieg von 1948 für die Flüchtlinge gegründet wurde und beispielsweise Schulen betreibt, aber auch Nahrungsmittel verteilt. In Gaza sind 70 % der Bevölkerung Flüchtlinge oder deren Nachkommen.

Dann ist in Gaza das World Food Programme (WFP), das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen, vor Ort, dessen Aufgabe die weltweite Bekämpfung des Hungers ist.

Die Tabelle zeigt die von Israel während des Jahres 2009 und bis März 2010 hineingelassenen Dinge.

hineingelassen

Alles, was in dieser Liste steht, kann - soweit vorhanden - käuflich erworben werden. Anders als in Deutschland nach dem Krieg gibt es keine Lebensmittelkarten. Die damit zugeteilten Lebensmittel mußten ja bezahlt werden.

Mittlerweile müssen 80 % der Bevölkerung in Gaza von der UN mit Nahrungsmitteln unterstützt werden. Die UN verteilt Essensrationen, die im wesentlichen aus Kohlehydraten bestehen.
Über meine wenigen zufälligen Kontakte zur UN in Gaza habe ich versucht herauszubekommen, was genau an die Menschen verteilt wird. Meine Kontaktpersonen konnten die Frage auch nur weiterreichen.
Alles, was dabei herauskam, war die Angabe:

The WFP food package received by both social hardship cases (caseload served by WFP through MSA)
and vulnerable groups (caseload served by WFP through CHF) includes:
- WHFL
- salt
- sugar
- pulses
- veg oil

The size of the food parcel depends on the HH size. The food parcel covers 90% of kcal needs of social hardship cases
and 70%-80% of kcal needs of vulnerable groups over a period of 2 months.

WFP: World Food Programme, Welternährungsprogramm
MSA: Ministry of Social Affairs, Sozialministerium
CHF: CHF international (humanitäre Hilfsorganisation, ursprünglich 'Cooperative Housing Foundation')
WHFL: wheatflour, Weizenmehl
pulses: Hülsenfrüchte
veg oil: vegetable oil, Pflanzenöl
HH: household, Haushalt
 
Um zu erfahren, was sich hinter 90 % des Kilokalorienbedarfs verbirgt oder was in den UNRWA-Paketen enthalten ist, hätte ich die Anfrage noch fortsetzen müssen.

Ich hatte schon ziemlich lange nach den betreffenden Angaben im Internet gesucht und bin dann schließlich zumindest zu den WFP-Angaben fündig geworden (WFP, "Emergency Food Assistance for Operation Lifeline Gaza").

WFPNahrg
Ich habe 'cereals' mit  Nährmittel übersetzt, die nach dem Krieg übliche Bezeichnung.

In der Zeit vom 20.1.09 - 19.1.10 hat das WFP 365.000 Menschen versorgt, dabei für die Nahrungsmittel $47.227.918 ausgegeben und 73.334.000 kg Nahrungsmittel verteilt.
Im Schnitt sind das $ 0,35 bzw. 0,55 kg pro Person und Tag.

Genau wie die 'humanitären' Lieferungen der Besatzungsmacht bestehen die Hilfspakete im wesentlichen aus Kohlehydraten und Fett. Die Kinder bekommen 0,1 l Milch pro Tag. Die  Tabellenangabe entspricht anscheinend 100% des Bedarfs, der für die normale Bevölkerung damit mit ca. 2100 kcal angesetzt ist.

Ein Ausflug in die Vergangenheit
Mich hat der Vergleich mit der Nachkriegszeit interessiert.
Im Internet habe ich dazu nur wenig Zahlenangaben gefunden. In München gibt es ein Stadtarchiv mit sehr viel Unterlagen aus dieser Zeit, allerdings meist Sitzungsprokolle, die sich mit speziellen Problemen befassen.

Ein Bericht aus dem Jahr 1947 enthält einige Zahlenangaben. Auch der Text ist ganz interessant:
"Ein erwachsener Mensch braucht bei Büroarbeit, also keineswegs körperlich anstrengender Tätigkeit pro Tag rund 2.400 Kalorien. Selbst jemand, der den ganzen Tag im Bett liegt, braucht schon 1700 Kalorien. Im übrigen gibt die Kalorienberechnung einen schlechten Maßstab für den Wert unserer Ernährung. ...

Der Kaloriengehalt der Nahrung gibt ein zahlenmäßig plastisches Bild über den bei der Ernährungsaufnahme im menschlichen Körper sich abwickelnden Verbrennungsvorgang, verrät aber nichts über den Gehalt von Fett, Eiweiß und Kohlehydrate(n) der einzelnen Nahrungsmittel. Für den Wert der Ernährung ist aber nicht der Brennwert, ausgedrückt in Kalorienwert entscheidend, sondern der Gehalt in Eiweiß und Fett. Von Brot allein, und seien es noch so große Mengen, kann der Mensch nicht leben. Dies empfindet wohl auch unsere Bevölkerung, wenn sie hart von Kalorienschwindel spricht."


In vielen Gegenden Deutschlands verschlechterte sich die Versorgung in der Zeit von 1945 bis 1948 dramatisch. In München war sie von den Kalorien her offenbar gleichbleibend schlecht. Man erkennt aber in der Tabelle, wie das sehr niedrige Kalorienangebot zwar in etwa gleich blieb, das Angebot an Fleisch und Fett aber ungefähr halbiert wurde.

TabMch39-47

Noch eine Ergänzung aus einem 53 Seiten langen Artikel zur wirtschaftlichen Entwicklung nach dem Krieg (Bernd Klemm/ Günter J. Trittel):
"Um eine angemessene Vorstellung vom Ausmaß und von den Auswirkungen der Ernährungskrise zu erhalten, gilt es, sich klarzumachen, daß ein Großteil der deutschen Bevölkerung drei Jahre lang von Rationen leben mußte, die im Schnitt nur gut die Hälfte des Vorkriegsniveaus von 3000 kcal erreichten und damit ungefähr dem offiziellen Richtsatz einer KZ-"Verpflegung" von 1632 kcal entsprachen. Sie bestanden im statistischen Durchschnitt aus 250 g Brot, 20 g Nährmitteln, 360 g Kartoffeln, 15 g Fett und 30 g Fleisch. Jeweils im Frühjahr 1946, 1947 und 1948 sanken die zugeteilten Nahrungsmittelrationen insbesondere in Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet auf unter 1000 kcal täglich. Zur quantitativen Halbierung des Ernährungsstandes kam eine noch stärkere qualitative Verschlechterung hinzu. Infolge der geringen Fleisch- und Fettzuteilungen sank der tägliche Eiweißgehalt der Nahrung von 85 g (1938) auf 35 g (1945), die Zufuhr von Fetten betrug sogar statt 120 g vor dem Krieg im Frühjahr 1948 teilweise nur noch 5,5 g. Diese katastrophale Ernährungslage zwang weite Teile der Bevölkerung dazu, einen Großteil ihrer Energie darauf zu verwenden, zusätzliche Nahrungsmittelquellen zu erschließen - durch Eigenanbau, Schwarzhandel, Hamsterfahrten, Diebstahl. Doch die bestehenden Ressourcen setzten diesen Bemühungen insgesamt enge Grenzen. Aus illegalen Quellen bzw. Eigenanbau konnten in den Jahren 1945/46 bis 1948 zusätzlich zu den offiziellen Nahrungsmittelzuteilungen schätzungsweise 300 kcal pro Kopf der Bevölkerung aufgebracht werden, die freilich für viele lebensnotwendig waren."