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Jahreswende 2008/2009
Die Niederschlagung der Revolte im Gaza-Gefängnis


Aus dem Feuilletonteil der Süddeutschen Zeitung vom 7.1.09
Man konnte wirklich einen Brechreiz bekommen, wenn man sah wie Javier Solana Tzipi Livni streichelte.
Politik der kleinen Gesten

TOMAS AVENARIUS

  Im Nahostkonflikt wird die Macht der Zwischentöne unterschätzt Friedensvermittlung ist ein seltsames Geschäft. Wenn zum Beispiel der Nahost-Beauftragte Tony Blair beim israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak die Chancen einer Waffenruhe in Gaza auslotet, herzen sich die beiden vor den Kameras nach Männerart: Schulterklopfen, breites Lachen. Wenn auch noch Israels Außenministerin Tzipi Livni auftaucht, gibt es kein Halten mehr fiir die westlichen Diplomaten: EU-AußenKommissarin Benita Ferrero-Waldner tauscht Küsschen nach Damenart, EU-Chef-Äußenpolitiker Solana schließt sich kavaliersmäßig an. Auch die anderen Europäer suchen Körperkontakt.
Das sieht nett aus. Und ist bemerkenswert: Die Europäer wollen neutrale Vermittler sein. Livni und Barak aber sind Kriegspartei. Der Ex-General Barak ist der Mann, der diesen Waffengang mit den Palästinensern politisch und militärisch geplant hat, auch Livni gehört zu den Verfechtern einer harten Linie. Was wäre, wenn nun der Hamas-Hardliner Machmud Zahar auftauchen würde? Gäbe es für den anderen Gaza-Kombattanten auch Schulterklopfen, Küsschen?

  Frau Ferrero-Waldner käme nicht in Frage. Zahar ist Muslim und ein knochenharter Islamist: Er gibt nur Frauen die Hand, mit denen er verwandt, verheiratet oder verschwägert ist. Aber Bruderküsschen für ; den ; Hamas'-Mann von Blair, Solana, Sarkozy? Kaum. Auch mit anderen arabischen Politikern, die nicht als Terroristen bezeichnet werden, ist der öffentliche Umgang diplomatisch formalisiert, distanziert: Seien es der Ägypter Mubarak, der Palästinenser Abbas oder die Scheichs vom Golf.

  Es gibt eine Politik der Gesten, jenseits der Worte und diplomatischen Erklärungen. Und die arabische Kultur ist eine Kultur der sehr feinen Gesten mit tiefer Bedeutung. Da gibt es unzählige formelle und informelle gestische Codes. Der Bruderkuss wird beispielsweise andauernd bemüht, doch in feinen Abstufungen. Im Westen versteht man die Tragweite solcher Gesten oft nicht. So war es die größtmögliche Beleidigung, als George W. Bush mit einem Schuh beworf en wurde. Einem Gegenüber die Fußsohle zuzuwenden gilt in der arabischen Welt als Zeichen vollkommener Verachtung. Die Cocktail-Party-Atmosphäre beim Treffen der europäischen Vermittler mit den israelischen Kombattanten sendet deswegen gewollt oder ungewollt eine Botschaft aus. Das dürfte in der arabischen Welt eigene Weise verstanden werden: Als Kumpelei.

  Auch sonst ist Einiges an diesem Gaza-Krieg bemerkenswert. Nicht nur die Waffen sind ungleich verteilt. Auch bei der Kommunikation zeigt sich ein Ungleichgewicht. Wenn israelische Bürger oder Politiker zu Recht die Hamas-Raketenangriffe auf Südisrael anklagen, tun sie dies in geschliffenem Englisch. Das wird weltweit verstanden. Wenn aber blutbefleckte palästinensische Ärzte aus den mit verstümmelten Patienten überfüllten Krankenhäusern Gazas in die Mikrophone sprechen oder ihre Politiker ein Statement fürs Fernsehen formulieren, brauchen sie oft einen Übersetzer. Oder ihr Englisch klingt holprig, selbst wenn sie die Sprache beherrschen. Denn das Englische liegt den meisten Arabern nicht, was vor allem phonetische Gründe hat. Wenn sie die ungewohnten Konsonanten aussprechen, die Übergänge weich im Gaumen, statt hart im Rachen formen müssen, dann überschläft sich ihre Stimme leicht und ihre Aussage bekommt eineil aufgeregten, hysterischen Anstrich.

  Doch die Fakten können schlecht überzeugen, wenn die Sprache nicht stimmt. Und wenn die Sprache stimmt, reichen auch weniger überzeugende Fakten. So halten die Israelis nicht nur die Lufthoheit über Gaza. Sie haben vor allem auch die Lufthoheit über weite Teile der internationalen Kommunikation in diesem Krieg. Das einzig Missliche an geschliffenen und wohl gewählten Worten und Medienbotschaften ist: Sie bleiben in Erinnerung. Ein hoch dekorierter israelischer Soldat etwa hat vor einigen Jahren einmal gesagt: „Wäre ich nicht als Israeli, sondern als Palästinenser geboren worden, wäre ich heute auch Terrorist." Der Mann, der das gesagt hat, ist der militärische Kopf hinter dem israelischen Feldzug gegen die Hamas in Gaza. Er heißt Ehud Barak. TOMAS AVENARIUS