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Mein dritter Besuch in Gaza
21. April bis 3. Mai 2012 Peter Voß Gazakarten : 'OpenStreetMap', 'Zerstörungen'; 'no-go'; 'Satelliten': Google Earth oder Google Maps, sonst (28 MB) Erster Eindruck und Rundfahrt mit dem Fahrrad Seit meinem letzten Besuch war ziemlich genau ein Jahr vergangen, Mitte 2010 war nach dem Mavi Marmara-Ereignis die israelische Blockade von etwa 23 % auf 45 % des Normalniveaus gelockert worden, und ich war neugierig, ob es ins Auge fallende Veränderungen gab. Es gab sie ganz offensichtlich, denn in Gaza Stadt wurde an vielen Stellen gebaut. Auf der nach dem israelischen Angriff Ende 2008 neben dem Al-Quds Krankenhaus entstandenen Freifläche ist ein großer UNWRA-Schulkomplex errichtet worden. Während die Bauvorhaben der UNWRA ausschließlich mit von Israel genehmigtem Baumaterial durchgeführt werden können, kommt das restliche Baumaterial durch die Tunnel. Am 12 Oktober 2011 veröffentlichte die Organisation Irin folgende Angaben: "Nach UN-Angaben durften im September 946 Lastwagenladungen mit für internationale Bauprojekte genehmigtem Baumaterial die von Israel kontrollierten Übergange nach Gaza passieren: 665 Ladungen (46.550 Tonnen) mit Zuschlag, 232 Ladungen mit Zement (9.195 Tonnen) und 41 Ladungen (1.418 Tonnen) mit Baustahl). Nach Schätzungen der UN erreichen im Monatsdurchschnitt 90.000 Tonnen Zement, 90.000 Tonnen Zuschlag und 15.000 Tonnen Baustahl Gaza durch die Tunnel." Wenn man die Tunnelangaben entsprechend den Übergangsangaben umrechnet, kommt man auf knapp 4000 Lastwagenladungen pro Monat oder etwa 200 LKWs pro Tag. Auffällig war auch, dass die Nahrungsmittelversorgung sich gebessert hat. Auch in den kleinen Lebensmittelläden gab es z.B. ein erstaunliches Angebot an Schokolade, wobei allerdings die Frage ist, wieviele Menschen sich das wohl leisten können. Gar nicht so weit von meiner Unterkunft entfernt hat im letzten Jahr ein gut ausgestatteter 'Metro'-Supermarkt eröffnet, den ich leider nie besucht habe, obwohl ich dort vermutlich mein etwas einseitiges Tagesmenü etwas hätte aufbessern können. Es gibt Bilder davon im Internet (man beachte den Link), die auf eine gute Bestückung schließen lassen. Ich werde im Folgenden noch sehr ausführlich beschreiben, weshalb dieser Laden für den überwiegenden Teil der Bevölkerung in Gaza wohl völlig uninteressant sein dürfte. Es gab noch mehr solcher Geschäfte, z.B. eine Konditoreikette. Ich traf mich mit einer Bekannten in einem dieser Läden und aß dort eine wirklich hervorragend schmeckende lokale Kuchenspezialität. Die Preise unterschieden sich nicht wesentlich von denen in der Münchner Innenstadt. Durch das Schaufenster nahm ich ein Bild der Kuchenvitrine auf, deren Inhalt zu einem guten Teil aus Schwarzwälder Kirschtorten bestand. Ein ähnliches Bild hatte ich aber auch schon 2010 an anderer Stelle aufgenommen. Die folgenden Bilder zeigen einige Baustellen und eine Bautafel. Am Shifa-Krankenhaus, wo ich vor zwei Jahren ein Bild eines beschädigten Gebäudes aufgenommen hatte, ohne die Zuordnung zu kennen, ist weitergebaut worden. Einmal gab es für mich eine Überraschung, weil neben einem Hochhaus ein vergleichsweise niedriges Gebäude völlig demoliert war. Ich fragte einen Taxifahrer weshalb die Israelis wohl ein solches Gebäude bombardiert hätten. Er erklärte mir, dass das Haus von seinem Eigentümer abgerissen wird, weil er ein Hochhaus bauen will. So kann man sich in der Innenstadt von Gaza Stadt irren, im Außenbereich wohl eher nicht. Auch an der Islamischen Universität wird das von den Israelis zerstörte Laborgebäude erheblich größer als das Vorgängergebäude wieder aufgebaut. Offenbar nutzt man den vorhandenen Platz aus soweit es überhaupt nur geht. Erweiterungsbau Shifa-Krankenhaus 2010 und 2012 Bautafel und Abrissgebäude Islamische Universität, beseitigtes zerstörtes Laborgebäude 2010 Wiederaufbau 2012 Die
ständigen Stromsperren
bekam ich bei dieser Reise stärker mit, weil ich nicht im
Hotel
wohnte, bzw. weil ich mich nicht immer bis spät in die Nacht
in generatorversorgten Restaurants aufhielt. Die Situation war
in
diesem Jahr wahrscheinlich auch schlimmer als in den Vorjahren, weil es
gerade zu dieser Zeit, bzw. etwas früher erhebliche
Schwierigkeiten mit der Treibstoffversorgung gab, die sich
auf das Elektrizitätskraftwerk und auf den Verkehr auswirkten.
Ich
gehe darauf in den Einzelheiten nicht ein. Es hatte zumindest zum Teil
einen innerpalästinensischen Hintergrund.
Radausflug In diesem Jahr war das Fahrrad in erster Linie eine Reserve für den Fall, dass die Benzinversorgung wirklich kritisch geworden wäre. Die Lage hatte sich aber bei meiner Ankunft schon etwas beruhigt. Ich habe das Fahrrad hin und wieder mal für kurze Strecken benutzt, weil ich es gut zugänglich unterstellen konnte, und an einem Freitag, d.h. an einem Wochenende, unternahm ich einen Ausflug. Bei meinem Ausflug im Jahre 2010 war ich ja sehr schnell vom beabsichtigten Weg abgekommen, was aber schon aus meiner damaligen Sicht ein glücklicher Zufall war und sich jetzt auch bestätigte. Ich wollte diesmal nur mal sehen inwieweit sich die damals geplante Strecke unterschied, und ich nahm mir diesmal von vornherein ein anderes Endziel vor. Ich war mit einer besseren Landkarte ausgerüstet und hatte außerdem mit zwei Minaretten einen optischen Startbezugspunkt. Die Karte zeigt meinen Pfad, die rote Strecke den Hinweg zu meinem Ziel Zeitoun und die gestrichelte grüne Strecke den Rückweg entlang von Hauptstraßen, auf denen an diesem Tag wenig Verkehr war. Radausflug. rot: Hinweg nach Zeitoun, grün: Rückweg Ich brach kurz vor 9 Uhr auf. Es war
ein kühler sonniger Tag. Ich fuhr ein kurzes Stück
die Uferstraße
entlang, von der dann wegen Bauarbeiten ein längeres
Stück gesperrt war. Deshalb bog ich ab und fuhr zur
nächsten größeren Parallelstraße.
Auf dem Weg dorthin stieg die Straße etwas an und im
Hintergrund war ein größeres Gebäude zu
sehen, wie man der OpenStreetMap-Karte entnehmen kann, der
Mushtaha-Turm. In Gaza haben manche dieser Art von Gebäuden
ihre sehr eigene Geschichte. Im Mushtaha-Turm gibt es eine Bank, bei
der im Jahre 2011 eine Polizeigruppe mit einem ungedeckten
Scheck und etwas nachdrücklicher Gewalt eine
größere Summe abhob.
In der Parallelstr., Al Quds, fiel mir eine Bautafel für ein Arab Orthodox Cultural Center auf, offensichtlich eine kirchliche Einrichtung. Gemessen an der Größe des Saales im Inneren muß es noch einige Kirchenmitglieder geben. Nach meiner Kenntnis gibt es in Gaza insgesamt noch 1500 Christen. Arab Orthodox Cultural Center Mit einigen
Schlenkern erreichte ich die Route 10, überwiegend
nur ein Sandweg, auf dem ich, wenn es etwas bergan
ging, auch wieder mal mein Rad schieben mußte.
Entlang dieser
Straße hat es offenbar nur im Gebiet kurz vor der
Einmündung in die
Hauptstraße (Salah Al Deen) starke Zerstörungen
durch den israelische Angriff vor drei
Jahren gegeben. Entlang eines Teilstücks war eine
große Müllhalde entstanden, die aber teilweise auch
schon weggeräumt war.
Auf dem letzten
Drittel der Strecke wurde auf einem Hügel ein rundes
Gebäude sichtbar, ein Wassertank mit einigen nicht
funktionsbedingten Löchern in der Wandung. Davor Zelte, die
wohl zum Teil Behausungen waren. Anscheinend sind aber in diesem Gebiet
keine festen Häuser zerstört worden. Der Wassertank
ist
irgendwann mal wegen zu geringer Höhe nicht mehr verwendet
worden.
Als ich mich dem
bebauten Gebiet nahe der Salah Al Deen Hauptstraße
näherte, war ein großes Zelt nicht zu
übersehen, in dem gerade Unmengen von Stühlen
aufgestellt wurden. Es handelte sich um die Vorbereitung für
eine
Hochzeitsfeier, die in einigen Stunden stattfinden sollte. Ich
wurde eingeladen zu bleiben, habe es aber vorgezogen, nach der Aufnahme
einiger Erinnerungsbilder weiterzufahren.
Bis zur Hauptstraße war es
nicht mehr weit. An der Kreuzung war der Verkehr weitgehend durch eine
große Ansammlung von Motorradfahrern versperrt. Es war
für mich ein vertrautes Bild. In Berlin gab es vor der Wende
nur ein schnurgerades Stück Autobahn, auf dem man etwas
schneller fahren konnte. Große Pulks von Motoradfahrern,
allerdings mit
deutlich schwereren Maschinen, trafen sich am Wochenende am
südlichen Ende, um gemeinsam die Autobahn hinunterzudonnern.
Ich wollte in die Gegend des Ortsteils Zeitoun, wo wir im letzten Jahr mit der italienischen Gruppe als allererstes die Überlebenden der Samouni-Familie besucht hatten (alle Vik2Gaza-Links sind inzwischen entfernt worden). Die Samouni-Familie hat traurige Berühmtheit erlangt wegen der Umstände, unter denen zahlreiche Familienmitglieder während der Operation 'Gegossenes Blei' von der Israelis getötet wurden ('Bericht der Untersuchungskommission der Vereinten Nationen über den Gaza Konflikt', Melzer Verlag, Semit edition, 2010, ab Absatz 706, englische Version ab Absatz 704) und des merkwürdigen Verhaltens des Hauptautors des Berichts der UN-Untersuchungskommission, Richter Goldstone, der, ohne dass neue Erkenntnisse vorlagen, später dieses Massaker mit militärischer Notwendigkeit zu rechtfertigen versuchte (s. Bericht des letzten Jahres). Ich hatte nur ein ungefähre Vorstellung wo sich diese Häuser befanden. Sie waren anhand des gelb-ocker gefärbten Kindergartenhauses aber leicht zu finden. Am Zugang zu dem in einem UN-Bericht 'Samouni-Straße' genannten Weg stand eine Bautafel für drei wiederaufgebaute Häuser. Die Straße war ziemlich menschenleer. Es war gerade Zeit für das Mittagsgebet. Ich warf ein kurzen Blick in die bereits im letzten Jahr wiederhergestellte Moschee, unterhielt mich kurz mit dem Iman, nahm ein paar Bilder auf und machte mich auf den Rückweg. An dieser Stelle scheinen mir ein paar Worte zu Satellitenaufnahmen angebracht. Google hat offenbar ein besonderes Verhältnis zu Israel. Das konnte man daran erkennen, dass Israel bei Google Maps anfangs ein weißer Fleck war. Bezüglich Gaza blieben die Google-Satellitenaufnahmen für viele Jahre auf dem Stand von 2007, d.h. auf einem Stand vor dem israelischen Angriff. Für meine Reise 2010 hatte ich mir, weil ich von den OpenStreetMaps nichts wußte, diese Satellitenbilder in nicht ganz optimaler Auflösung mühsam vom Bildschirm kopiert. Seit 2011 aktualisiert Google nun allmählich die Gazaaufnahmen. Auf diesen Aufnahmen ist ein Großteil der Zerstörungen nicht mehr zu erkennen, weil die von den Panzern und den Kampfraupenschleppern umgepflügten Agrargebiete inzwischen meist wieder bewirtschaftet werden, die Ruinen abgeräumt sind und die Häuser teilweise trotz Blockade auch schon wieder aufgebaut wurden. Es ist aber trotzdem ganz interessant, einen Blick auf die alten Aufnahmen zu werfen und sie mit den neueren Aufnahmen zu vergleichen. Die Aufnahme unten zeigt das Gebiet um die Samounistr. im Stand von 2007. Man sieht, dass es sich um eine kleine isolierte Siedlung handelt, deren militärischer Wert wohl ein israelisches Geheimnis war und ist. Offenbar hat es dort nie Kämpfe gegeben, d.h. es ist nie ein Verteidiger gesichtet worden. Die UNOSAT-Abteilung der UN hat den israelischen Angriff anhand von ihr zugänglichen Satellitenaufnahmen verfolgt und diese teilweise mit Auswertungen bezüglich der angerichteten Zerstörungen auch veröffentliicht. |
Satellitenaufnahme
von 2007
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