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Mein dritter Besuch in Gaza
21. April bis 3. Mai 2012 Peter Voß Gazakarten : 'OpenStreetMap', 'Zerstörungen'; 'no-go'; 'Satelliten': Google Earth oder Google Maps, sonst (28 MB) Bereits im Jahre 2010 war ich auf eine Nachricht gestoßen, in der berichtet wurde, dass es der Landbevölkerung teilweise noch schlechter ginge als den von der UNRWA versorgten Flüchtlingen. Bei meinem Besuch in Gaza im Jahre 2010 versuchte ich dazu bei der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency) und bei OCHA (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) einen Bericht dazu aufzutreiben, aber ohne Erfolg. Ich habe das in meinem Bericht beschrieben. Im letzten Jahr hatte ich mir vorgenommen, noch einmal einen Versuch zu diesem Thema zu unternehmen, wobei aber wegen der strengen Bewachung der Besuchergruppe nichts in dieser Richtung möglich war. Diesmal konnte ich den Faden wieder aufnehmen. Und zwar wollte ich zuerst aus eigener Anschauung feststellen wie es denn überhaupt um die Versorgung der Flüchtlinge bestellt ist. Bei mir setzte sich weiterhin der Gedanke fest, zu versuchen, das Leben einer Flüchtlingsfamilie durch einen Tag hinweg zu verfolgen. Es war klar, dass es wohl schwierig sein würde, eine solche Familie zu finden, die dazu bereit sein würde. Und weil man sich wohl kaum auf Englisch würde verständigen können, mußte auch ein begleitender Übersetzer aufgetrieben werden. Bevor ich nun darüber berichte, inwieweit mir dieses Projekt geglückt ist, halte ich eine Einleitung für notwendig. Dabei wiederhole ich zum Teil Dinge, die ich schon in meinem Bericht von 2010 beschrieben habe. Allgemeine Angaben Nach Angaben des Statistischen Amtes der Palästinensischen Autonomiebehörde lebten Mitte 2011 im Gazastreifen 1,59 Millionen Menschen, d.h. Mitte 2012 dürften es etwa 1,65 Millionen gewesen sein. Vierundvierzig Prozent der Bevölkerung sind unter 14 Jahre alt, während 2,4 % älter als 65 Jahre alt sind (d.h. ich war in dieser Umgebung schon in einem sehr fortgeschrittenen Alter). Die durchschnittliche Zahl der Kinder pro Familie betrug im Gazastreifen im Jahre 2010 5,6 Kinder. Im Jahr 2011 gab es rund 246.000 Haushalte. Im Gazastreifen werden 69,2 % der männlichen Bevölkerung über 15 Jahre dem Arbeitskräftepotential zugerechnet und 17,3% der weiblichen Bevölkerung . Davon standen in Summe 40,3 % dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Und davon waren wiederum 28,4 % arbeitslos (Daten von August 2012). Die UNRWA gibt in ihrem Förderantrag (Emergency Appeal 2012) folgende Zahlen für Gaza (S. 5) an: 1.454.032 Einwohner, davon 1.204.850 Flüchtlinge, von diesen leben 523.111 in Lagern, die Restbevölkerung ergibt sich damit zu 249.182, d.h. sie macht bei diesen Angaben weniger als 20% der Gesamtbevölkerung aus. Von der UNRWA gibt es für die 1. Hälfte von 2011 auch Zahlenangaben zum Arbeitsmarkt.
Fast 60 % haben die Hoffnung auf einen Arbeitsplatz aufgegeben oder stehen aus anderen Gründen nicht zur Verfügung. Hilfsorganisationen Um den Menschen in den israelisch besetzten Gebieten das Überleben zu ermöglichen - was ja eigentlich die Aufgabe der Besatzungsmacht ist - gibt es eine ganze Reihe von Hilfsorganisationen, deren Aktivitäten seit dem Jahr 2003 unter dem Titel "Consolidated Appeal" (vereinigter Spendenaufruf) zusammengefasst werden. Dazu einige Angaben aus dem Consolidated Appeal 2012 (144 Seiten) für die besetzten palästinensischen Gebiete: An den Hilfsprojekten sind 59 Organisationen beteiligt (S. 7). Die Budgetvorschläge reichen von $ 100.000 bis $ 222 Millionen. Die größten Budgets haben CARE (Cooperative for Assistance and Relief Everywhere) International) mit $ 7.388.000, OCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) mit $ 7.491.639, FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) mit $ 8.960.000, ACF (Action Contre la Faim, Aktion gegen Hunger) mit $ 10.274.034, UNICEF (United Nations Children's Fund) mit $ 13.312.904, WFP (United Nations World Food Programme) mit $ 83.812.888 und UNRWA (United Nations Relief and Works Agency) mit $ 221.839.975. Der Antrag für 2012 enthält ein Diagramm zum CAP 2011 (S. 27), aus dem man entnehmen kann wie hoch die wirkliche Finanzierung war. Das hier gezeigte Diagramm ist ein übersetzter Auszug. Ursprünglich wurden anscheinend $575 Millionen beantragt, d.h. die Unterfinanzierung war noch größer. ../../index.html
Wenn man mit den angegebenen Zahlen die realen Anteile ausrechnet, kommt man auf die Zahlen der Tabelle. Die Nahrungssicherheit macht fast die Hälfte des Budgets aus. Im kleinen Erziehungsanteil stecken im wesentlichen Baumaßnahmen, von denen es besonders in Gaza nur wenig gab. Zum Schutz gehörten u.a. Rechtsschutz, psycho-soziale Unterstützung und z.B. auch Begleitschutz.
Der reale Anteil wurde von mir berechnet. Im CAP 2012 wurde die Summe der beantragten Gelder auf $ 417 Millionen reduziert, obwohl der Bedarf wohl kaum geringer geworden ist. Im April 2012 lag die Deckung bei 43 %. Das Geld ist zur Unterstützung von 1,8 Millionen Menschen gedacht, d.h. $ 232 pro Person und Jahr. Bei real etwa 50% Zuteilung $ 116 pro Jahr. Davon etwa 45 % für Nahrungssicherheit , d.h. $ 52 pro Person und Jahr, macht im Schnitt $ 0,14 pro Person und Tag, wobei aber nur 1,34 Millionen Menschen diese Unterstützung bekommen. Deshalb bekommen die geförderten Personen etwas mehr. Die oben aufgeführten $ 222 Millionen Antragsgelder der UNRWA stellen nicht den gesamten Etat der UNRWA dar, weil nicht alle Aktivitäten der UNRWA im CAP aufgenommen werden. Dabei handelt es sich zum Teil um Etatposten wie 'direkte finanzielle Unterstützung', für die offenbar erfahrungsgemäß sowieso kein Geld übrig ist, und die man deshalb beim CAP herausgenommen hat, aber beim UNRWA-Emergency Appeal noch mitschleppt (EA 2012, S. 20). Der Emergency Appeal hat einen Umfang von $ 301 Millionen. Im Jahr 2011 wurden 375 Millionen beantragt. Der prozentuale Anteil der erhaltenen Mittel war wegen der erwähnten Randbedingungen noch geringer als beim CAP und lag bei 40 %. Man hat die Höhe der beantragten Mittel für 2012 reduziert, wohl in der Hoffnung, dass sich das Verhältnis etwas verbessert. Der durchschnittliche Haushalt in Gaza hatte ein Einkommen von 680,7 jordanischen Dinaren, d. h. rund 750 Euro pro Monat, wovon 42,5% für Nahrungsmittel ausgegeben wurden (Palestinian Central Bureau of Statistics). Ich habe keine Angaben zur Einkommensverteilung gefunden, die ziemlich extrem sein dürfte. Von dieser palästinensischen Behörde werden für ganz Palästina Schwellen für Armut und extreme Armut definiert, bezogen auf einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und drei Kindern (manchmal anscheinend auch mit vier Kindern). Sie liegen bei US$ 609 (ca. €470) pro Monat, d.h. $ 4 pro Person und Tag bzw. bei US$ 478 (€ 370) pro Monat, d.h. $ 3,1 pro Person und Tag . Gemessen an diesem Maßstab waren im Jahr 2010 38,1% der Haushalte in Gaza arm und 23% extrem arm, d.h. in Summe waren mehr als 60% mindestens arm. Die UN verwendet zum Teil eine etwas andere Definition: Bei der UNRWA (EA 2012, S. 22) gilt: 'absolut arm' bei $ 4 pro Person und Tag und 'bitter arm' bei $ 1,6 pro Person und Tag. Mit Stand von 2009 werden 49,9 % als absolut arm und 18,7 % als bitter arm angegeben, wobei in beiden Gruppen der prozentuale Anteil der Nichtflüchtlinge höher ist als der der Flüchtlinge, was wohl auf die extreme Armut eines Teils der Landbevölkerung hindeutet. Das World Food Programme hat anscheinend nur eine Kategorie: 'Extrem arm' bei weniger als $ 2,7 pro Person und Tag. Das betrifft in Gaza ca. 285.000 Personen (s.u.), mehr als die Zahl der von der UNRWA in Gaza angeführten Nichtflüchtlinge (242.000, EA 2012, S. 5), d.h. es muß eine sich überschneidende Förderung geben. Nach einem Bericht der Weltbank (Teil1, Bild 15, keine Zahlenangaben) aus dem Jahre 2009 ist die Gesundheitsversorgung erheblich besser und die Lebenserwartung deutlich höher als in Ländern mit vergleichbarer Armut wie z.B. Ägypten. Hier macht sich sicherlich das Wirken der Hilfsorganisationen direkt oder indirekt bemerkbar. Um zumindest bei Grundnahrungsmitteln eine Vorstellung zur Kaufkraft zu bekommen, habe ich versucht, Angaben dazu zu finden. Es gibt dazu riesige Datenmengen zur Veränderung der Preisindizes. Ich habe aber so gut wie nichts zu tatsächlichen Preisen gefunden. Wenn es solche Angaben gibt, dann meist ohne Angabe der Bezugsgröße. Gefunden habe ich einige Angaben in einer Übersicht des World Food Programms zu Gaza im Jahre 2011. Dort erfährt man, dass Brot in einem Beutel für 7 israelische Schekel (NIS) verkauft wird, d.h. über die Zeit ändert sich nicht der Preis, sondern die Menge. Mehl, Reis und Zucker werden in Säcken unterschiedlicher Größe verkauft. Eindeutige Angaben habe ich nur für Mehl, Brot und Rindfleisch gefunden. Monatliche Angaben über ein Jahr habe ich gemittelt und abgerundet. Die Angabe für Reis bezieht sich vermutlich auf einen 25 kg-Sack. Ein Student (Yaser) in Gaza führte im August 2012 für mich eine aktuelle Datenerfassung mit Bezugsangaben durch.
Brot ist billig. Der kalorische Anteil des Zuckers wird nicht angegeben. Die Ernährung baut ganz wesentlich auf Mehlprodukten auf. Ich zitiere hier noch einmal wie in meinem Bericht von 2010 aus einem Protokoll des Münchner Stadtrats von 1947:"Für den Wert der Ernährung ist aber nicht der Brennwert, ausgedrückt in Kalorienwert entscheidend, sondern der Gehalt in Eiweiß und Fett. Von Brot allein, und seien es noch so große Mengen, kann der Mensch nicht leben." Die UNRWA und das World Food Programme (WFP) Wie aus der obigen Auflistung zu ersehen war, sind für die Versorgung der armen Bevölkerung in Gaza ganz überwiegend die UNRWA und das World Food Programme (WFP) zuständig. Beide sind Organisationen der Vereinten Nationen. Wie die Namen schon ausdrücken, ist die UNRWA ausschließlich für die palästinensischen Flüchtlinge zuständig, während das WFP weltweit agiert Zu beiden Organisationen gibt es Artikel bei der Wikipedia. Die UNRWA wurde am 1.5.1950 zur Versorgung der palästinensischen Flüchtlinge und ihrer Nachkommen gegründet. Ihr Hauptquartier befindet sich in Gaza. Das WFP kümmert sich in Gaza um die bedürftigen Einwohner, die nicht zu den Flüchtlingen zählen. Eine Vorstellung, mit welchen Vorgaben und unter welchen Randbedingungen diese Organisationen arbeiten, geben Berichte und Planungen dieser Organisationen. Ich habe daraus einige Einzelheiten übersetzt und zusammengestellt (UNRWA, WFP), u.a. auch den Alarmruf der UNRWA zur Situation in Gaza. Das Schicksal armer Familien wird auch durch private Hilfsorganisationen im Internet öffentlich gemacht. Videos (Video 1, Video 2) zeigen solche Beispiele mit etwas mehr Einzelheiten ungefähr in dem Umfang, in dem ich über die Familien in Shijeaya berichtet habe. Neben der Ernährungs- und Wohnproblematik gibt es auch die Problematik der psychischen Belastung. Am 11.7.2012 erschien dazu ein Artikel der Oxfam-Mitarbeiterin Anne Robson im Guardian (Originaltext, deutsch). Am 30.7.2012 berichtete sie über die speziellen Probleme der Frauen (Original, deutsch). Bei mir hatte sich der Gedanke festgesetzt, den Versuch zu machen, über den Tagesablauf einer solchen Familie etwas genauer zu berichten. Es war von vornherein klar, dass es sich bei einem solchen Bericht nur um ein Zufallsprodukt handeln konnte. Ich hatte auch überhaupt keine Vorstellung, wie man sich einer solchen Familie aufdrängen könnte und wie ein solcher Besuch aussehen würde. Ich ging davon aus, dass selbstverständlich ein Übersetzer dabei sein müßte. Mein Gedanke war, einer Familie zu folgen, die gerade ihre Dreimonatsration abgeholt hatte und mit ihr ins Gespräch zu kommen. Eine solche gerade frisch proviantierte Familie wäre allerdings nicht gerade ein typisches Beispiel gewesen. Wie schon öfter ergab sich durch eine zufällige Begegnung ein anderer Ablauf. Dies geschah dadurch, dass ich mich zur Lebensmittelausgabestelle beim Beach Camp in Gaza Stadt begab, weil ich mir dort zunächst einmal eine Auskunft über die Größe der ausgegebenen Rationen erhoffte. Das erwies sich aber als gar nicht so einfach, weil man mir mit ziemlichem Mißtrauen begegnete. Ich müsse dafür erst einmal eine offizielle Genehmigung einholen. Bei Hunderttausenden von Leistungsempfängern konnten diese Mengen ja eigentlich kein großes Geheimnis sein. Ich hatte noch von meinem ersten Besuch die Telefonnummer des Pressesprechers der UNRWA, der diesmal sehr hilfreich war, und dem ich deshalb hier ausdrücklich danken möchte. Auch mit seiner telefonischen Fürsprache war der Widerstand noch nicht überwunden. Man wollte zunächst plötzlich noch eine weitere Genehmigung, woraufhin ich dann doch etwas ungeduldig wurde. Was dann letztlich den Umschwung bewirkt hat, weiß ich nicht. Es half sicherlich, dass ich von meinen Blockadeerlebnissen während meiner Kindheit erzählen konnte. Jedenfalls sprang die Stimmung völlig um, man wurde sehr freundlich und übergab mir eine Liste mit den je nach Familiengröße unterschiedlichen Ausgabemengen, aus der ich hier aber nur einen speziellen Fall wiedergeben werde. Wir unterhielten uns über die Dreimonatsrationen, und für mich völlig unerwartet und schockierend sagte die Leiterin der Ausgabestelle, dass diese nur für die halbe Zeit reichen würden. Auf meine Frage, was die Menschen denn in der restlichen Zeit machten, sagte sie: "Sie trinken Tee." Ich erwähnte bei dieser Gelegenheit meinen Wunsch, eine Familie aus der bitterarmen Kategorie zu besuchen. Zu meiner Überraschung meldete sich ein Sozialarbeiter, der sich unser Gespräch die ganze Zeit angehört hatte, und sagte mir, dass er mir wahrscheinlich helfen könne. Er denke an eine bestimmte Familie, die er fragen würde. Mein Besuch bei den Bauern in Shijaeya fand in der Zeit statt, in der ich auf die Zustimmung der Familie wartete. Nach diesem Besuch war mir plötzlich klar, dass ich die Familie ohne einen Übersetzer besuchen wollte, weil ich das normale Familienleben mit meiner Anwesenheit möglichst wenig stören wollte. Trotzdem war natürlich nicht zu vermeiden, dass ich den Tagesablauf einer solchen Familie in der einen oder anderen Weise beeinflussen würde, denn wer kann einen wildfremden Ausländer, der stundenlang in seiner Wohnung herumhockt, einfach ignorieren. Familie F. stimmte meinem Vorhaben zu. Ich lernte Herrn F. kennen und der Sozialarbeiter zeigte mir den Weg zur Wohnung, den ich am nächsten Tag in aller Frühe alleine würde finden müssen. Es handelte sich um eine Familie mit sieben Kindern, drei Töchtern und vier Söhnen, von denen der älteste bereits verheiratet war, d.h. nicht mehr zuhause wohnte. Sie befanden sich bei meinem Besuch in der "Tee"-Phase. Das war so ziemlich alles, was ich vor und damit auch während meines Besuchs über die Familie wußte. Die Dreimonatsration der UNRWA für eine solche achtköpfige Familie besteht laut Listenangabe aus 180 kg Mehl, 21 kg Reis, 21 kg Zucker, 16 340g-Dosen Fleisch, d.h. ca. 7,5 g Büchsenfleisch pro Person und Tag und 8 kg Milchpulver, aus dem sich wohl etwa 80 l Milch herstellen lassen. Später erfuhr ich, dass die Familie für die drei Monate auch 300 NIS (ca. € 60) an Bargeld bekam. Die
Situation einer von der UNRWA versorgten zehnköpfigen Familie
hat Peter
Münch in der Süddeutschen Zeitung vom 30.7.2010
beschrieben (Hoffnungsstreifen).
Anscheinend war die Mehlration damals größer und die
Fleischration kleiner.
Eine
bitterarme Familie
Ich fuhr mit dem Fahrrad hinüber zum Flüchtlingslager und traf etwa 5 Minuten nach sechs Uhr bei Familie F. ein. Ein Teil der Familie war schon wach. Die beiden jüngeren Mädchen bereiteten sich für die Schule vor. Ich bekam dann bald mit, dass zwei der Kinder, die älteste Tochter und der drittälteste (der zweitälteste noch zuhause wohnende) Sohn von mir nicht gesehen bzw. nicht gefilmt werden wollten. Die Tochter kam während meines ganzen Aufenthalts am Vormittag nur einmal kurz mit verdecktem Gesicht aus dem Schlafzimmer. Der Rest der Familie konnte ich filmen, wobei Frau F. beim Nachgespräch Wert darauf legte, dass ihr Gesicht in einer weltweit aufrufbaren Veröffentlichung nicht zu erkennen sein sollte. Für Vorträge in Europa galt dies nicht. Deshalb habe ich die hier gezeigten Bilder so ausgewählt, dass das Gesicht von Frau F. entweder von vornherein nicht zu erkennen ist, oder ich habe es abgedunkelt oder unkenntlich gemacht. Der arbeitslose Hausherr befand sicherlich in einer recht unbequemen Lage, denn er konnte mich während der Zeit, in der die Kinder das Haus verlassen hatten, wohl kaum mit seiner Frau alleine lassen. D.h. er ging nur für wenige Minuten mal aus dem Haus, hing die meiste restliche Zeit herum und wußte vermutlich nicht so recht, in welcher Ecke er sich aufhalten sollte. Familie F. bewohnte eine Art Haus, das sich L-förmig zwischen höhere Gebäude zwängte. Parallel zu einem L-Schenkel befand sich ein schmaler Hof mit dem Eingang. Angrenzend auf der Innenseite befand sich das Wohnzimmer, eine Küche und dahinter ein Toilettenbereich. Im verbleibenden zweiten L-Schenkel lag das Schlafzimmer. Aus eigener Anschauung kann ich nur sagen, dass die beiden älteren Söhne im Wohnzimmer schliefen und das ältere Mädchen und der zweieinhalbjährige Sohn im Schlafzimmer. Das Haus bestand aus außen unverputzten Betonsteinen. Die Innenseite war verputzt, an vielen Stellen mit abgeplatzten Farbschichten bedeckt, in denen die Feuchtigkeit zum Teil bis unter die Decke gestiegen zu sein schien. Die Decke bestand aus undurchsichtigen oder durchsichtigen Wellplatten und war innen nicht verkleidet. Das Wohnzimmer hatte eine Eingangstür und zwei Fenster, die Küche schien nur durch das Dach beleuchtet zu sein und das Schlafzimmer hatte offenbar kein Tageslicht. Es war Ende April tagsüber schon recht warm war, und ich trug deshalb nur Sandalen. Dadurch merkte ich mit der Zeit, dass das Wohnzimmer extrem fußkalt war. Frau F. hüllte sich auch immer wieder in eine Decke ein. Ich bewegte mich während meines Aufenthalts nur in einem sehr engen Bereich, von der Eingangstür etwa 1,5 m in den Raum hinein, wo ich die meiste Zeit auf einem Stuhl saß, gelegentlich an den Kücheneingang direkt neben dem Hauseingang, und zu einer Zeit, als mir das Problem mit der ältesten Tochter noch nicht bewußt war, ein kurzer Blick ins Schlafzimmer und in den nur durch einen Vorhang abgetrennten Toilettenbereich. Im Hof hing an diesem Tag sehr viel Wäsche zum Trocknen. Dort befand sich auch ein Wassertank und ein Gewirr von zum Teil sichtlich undichter Wasserleitungen, die vom Dachbereich herunter kamen, weiterhin ein verrosteter Blechkasten, der mir später als Brotbackofen erklärt wurde, und ein langes Waschbrett. Ich habe nahezu ausschließlich gefilmt. In der früh am Tag nur sehr schwach ausgeleuchteten Küche habe ich eine LED-Leuchte verwendet, die für den Wohnbereich, wo die Beleuchtung zumindest am Morgen aber nicht so kritisch war, viel zu schwach war. Die Kamera hatte die etwas unangenehme Eigenschaft, dass sie beim Schließen des Bildschirms nicht abschaltete, wie ich es bisher gewohnt war. Dadurch habe ich zweimal in Phasen, die mir wichtig gewesen wären, statt aufzunehmen auf Pause geschaltet. Wie erwähnt befand sich Familie F. in der 'Tee'-Phase, d.h. von der UNRWA-Nahrungshilfeunterstützung war überhaupt nichts zu bemerken, abgesehen vielleicht von einer 1l-Ölflasche. Ich habe aus den Videos einige extrahierte Bilder ausgewählt, die das Wohnungsumfeld zeigen, und einige Bilder, die die Beschreibung meiner Beobachtungen ergänzen. Ich beschreibe einen kurzen Einblick in einen Teil des Tagesablaufs einer besonders armen Familie unter zehntausenden von Familien, die in Gaza in Flüchtlingslagern leben. Manche Flüchtlinge leben - zumindest nach den Fassaden der Häuser zu urteilen - deutlich besser. Der prominenteste Lagerbewohner im Beach Camp ist Ministerpräsident Ismael Haniyeh. Der Zugang zum Haus; neben dem Auto rechts die Außenwand des Wohnraums und die Hofwand. Der Eingang und der Hof, aufgenommen einen Tag später. Im Hof rechts vorne das Waschbrett und dahinter der Backofen. Der Besuch Das Wohnzimmer: Das erste Bild wurde kurz nach 6 Uhr aufgenommen. Die beiden großen Söhne schlafen noch im hinteren Teil des Wohnraums. Die anderen beiden Bilder wurden 2,5 Stunden später aufgenommen. Sie zeigen die Dachkonstruktion. Das linke Fenster wurde erst am späteren Vormittag geöffnet. Ein Blick in das Schlafzimmer. Auf der linken Seite unten befand sich ein Matratzenlager, auf dem noch die älteste Tochter und der jüngste Sohn schliefen. Auf dem zweiten Bild rechts in der Mitte erkennt man den Teil eines Fensters, das offenbar zum Nachbarhaus gehört und zugebaut wurde. Als ich eintraf waren die Mädchen schon aufgestanden. Die Mutter kämmte ihnen das Haar. Der Vater ist zuckerkrank und eines der Mädchen gab ihm eine Spritze in den Arm. Frau F. bereitete in der Küche das Frühstück vor, und Mutter und Töchter setzten sich am Boden um den kleinen Tisch im Wohnzimmer. Das Frühstück bestand offenbar nur aus Brot und Satar (Thymian). Es stand auch eine Schale mit einigen Falafel auf dem Tisch. Die Mutter teilte ein Stück Brot, füllte es mit etwas Satar und verteilte es an die Mädchen. Soviel ich sehen konnte, war das alles, was sie aßen. Dazu gab es Tee. Die Mädchen verließen gegen 6:30 Uhr das Haus. Ich ging in den Vorhof und filmte in Richtung zum Eingang hin, und dann auch die gegenüberliegende Seite. Von außen gesehen schien die Küche doch ein Fenster zu haben. Um 6:30 stand der zweitälteste Sohn auf, der von mir nicht gefilmt werden wollte. Er griff sich einige Falafel und verschwand nach kurzer Zeit. In diesem Fall war ich wohl ein echter Störfaktor. Die Mutter holte den kleinen Jungen aus dem Schlafzimmer und bettete ihn auf die am Boden liegende Matratze, auf der bis dahin der größere Sohn geschlafen hatte. Der Junge war noch müde, wollte schlafen, war aber unruhig. Die Mutter setzte sich zu ihm und legte ihm schweigend die Hand auf die Brust, wobei dazu passend aus dem Fernseher einschläfernd religiöse Musik erschallte. Es war für mich ein sehr anrührendes Bild. Frau F. begann dann mit ihrer Morgenarbeit. Sie wusch das Geschirr ab, hob die in der Küche liegenden Teppiche auf, spülte sie ab und wischte den Boden mit ziemlich viel Wasser. Die Küche hatte ein Becken, das offenbar keinen Abfluß besaß. Der Abfluß befand sich am Boden vor dem Becken, normalerweise von einem Trittbrett verdeckt. Frau F. machte sich dann daran, einige Matratzen im Wohnzimmer vom Boden aufzulesen und zum Auslüften nach draußen zu tragen. Sie legte sie über die Außenwand (wo mein Fahrrad stand). Dann machte sie sich daran, den Boden des Hofes feucht auszukehren. Kurz vor 7:30 Uhr stand der älteste Sohn auf. Er blieb auch nur kurze Zeit und verließ das Haus ohne etwas gegessen zu haben. Er nahm auch nichts zu Essen mit. Er war aber etwas übergewichtig. Wir sind uns dann später bei ganz anderer Gelegenheit (am Rande einer Hochzeit) noch einmal begegnet. Die Hausfrau konnte jetzt das Wohnzimmer ganz aufräumen und dabei zumindest an der hinteren Wand die Wandflecken etwas verdecken. Sie bereitete dann aus Tomaten und etwas Grünzeug ein Frühstück für ihren Mann und sich. Sie hatte in der Küche kein Arbeitsfläche, sondern arbeitete auf dem Rand des Küchenbeckens. Nach dem Essen hatten dann beide etwas Zeit fernzusehen und sich dabei zu unterhalten. Gegen 9:10 Uhr wachte der kleine Junge auf. Der zweite Sohn tauchte kurz auf und brachte Zigaretten für den Vater und eine Packung Kekse. Frau F. tat die Kekse in eine Schale und machte in einem kleinen Topf Wasser heiß. In der Küche befand sich ein Gaskocher, der offenbar nicht funktionierte und auf dem Gaskocher stand eine abenteuerliche Elektroheizplatte, die im Prinzip wohl nicht ungewöhnlich war. Diese Heizplatte zeichnete sich aber dadurch aus, dass ein durchgebogener Rost darauf lag, der den offen liegenden Heizwendeln beängstigend nahe kam. Der Junge hatte einige Zeit an einem Stück Brot genagt. Seine Mutter rührte nun aus den Keksen mit dem aufgeheizten Wasser einen Brei an, den der Junge aber nach dem ersten Löffel zu essen ablehnte. Er blieb lieber bei seinem Stück Brot. Süßes reizte den Jungen offenbar nicht sonderlich. Sein Vater bot ihm ein paar Fruchtgummis an, die aber keine große Begeisterung auslösten. Gegen 10:20 Uhr ging der Herr F. für kurze Zeit mit dem Jungen nach draußen. Frau F. war während dieser Zeit mit dem Zusammenlegen und dem Verstauen von Wäsche beschäftigt. Sie besuchte dann auch kurz mal die Tochter im Schlafzimmer. Auch der Vater ging später kurz zu ihr. Für mich begann jetzt eine Zeit, in der es nicht viel zu filmen gab. Ich machte einen kurzen Spaziergang hinüber zur UNRWA-Ausgabestelle. Nach meiner Rückkehr gab es dann doch den Versuch eines Gesprächs. Herr F. zeigte mir einen an die UNRWA gerichteten Brief, in dem er um irgendeine Beschäftigung nachsuchte, auch wenn sie nicht bezahlt würde. Sie konnten aber nichts für ihn tun. Er hat früher gearbeitet und bei einem Arbeitsunfall zwei Finger verloren. Mehr war bei der Gestenunterhaltung für mich nicht zu verstehen. Gegen 12:30 Uhr kamen der zweite Sohn und die Mädchen nach Hause. Sie brachten etwas Chipsähnliches und für den kleinen Jungen einen Karton Milchkakao. Für die Mädchen hatte die Mutter Tomatengemüse und Pommes Frites zubereitet. Es gab noch ein paar Beobachtungen am Rande. Der kleine Junge hatte eine LED-Lampe in die Finger bekommen, eine Lampe mit Lampenfassung und Pufferbatterie, um bei Stromsperren etwas Licht zu haben. Der Junge probierte an einer Wand die Klopfestigkeit des Geräts aus. Auf dem Bild schaut er sich interessiert die Einzelteile in der Hand seines Vaters aus. Nachdem der Vater einige Zeit versucht hatte, die Teile wieder zusammenzufügen, habe ich dann stolz meine Puzzle- und Elektrikerfähigkeiten bewiesen. Die letzten zwei Bilder zeigen vielleicht etwas über die Rollenverteilung, die anscheinend schon früh verinnerlicht wird. Der Junge beschloß den Schrank auszuräumen, den seine Mutter zuvor mühsam eingeräumt hatte. Die große Schwester schaute zu bis alles ausgeleert war und fand es offenbar ganz lustig. Kurz nach 19 Uhr fuhr ich noch einmal hinüber. Es gab zwar noch etwas Tageslicht, aber in der Wohnung war es absolut dunkel, denn es war Stromsperre. Der kleine Junge trug die LED-Lampe, die ohnehin nur wenig Licht abgab, mal hierhin mal dorthin und meine Kameraleuchte war nicht annähernd in der Lage den Raum auszuleuchten. Das meiste brauchbare Licht kam von zwei Kerzen, die der Hausherr anzündete. Vater, Mutter und die beiden Töchter hockten sich im hinteren Teil des Zimmers um den kleinen Tisch und aßen das Abendbrot bestehend aus Brot mit Satar, einigen wenigen Oliven und wohl noch einem kleinen Rest des Tomaten-Mittagessens. Dazu gab es ein Orangengetränk. Ich blieb nur etwa 20 Minuten. Am nächsten Tag fand ein Nachgespräch statt; leider zu einer sehr ungünstigen Zeit, wodurch das Gespräch nur sehr kurz war. Durch die äußeren Umstände war ein zweites Gespräch nicht möglich. Ich erfuhr, dass die Familie acht Säcke Mehl erhielt (da die Mehlrationen in 30 kg Schritten gestaffelt sind, hätte ich entsprechend den obigen Zahlenangaben eher sechs Säcke erwartet). Die Dreimonatsration würde 1 1/2 bis 2 Monate reichen. Die zusätzlichen etwa NIS 300, entsprechend rund € 20 pro Monat Bargeld, hatte ich schon erwähnt. Auf die Frage, wie sie denn die restliche Zeit überleben könnten, erzählten sie, dass sie Unterstützung von der Moschee bekämen und außerdem Hilfe mit kleinen Summen von guten Leuten. Einer der beiden Plastikstühle (Wert etwa € 7) war durchgebrochen. Ich fragte wie schwierig es wäre, ihn zu ersetzen. Frau F. meinte, wenn sie nur die Wahl habe, eine Matratze für den Jungen zu kaufen oder einen Stuhl, dann würde sie natürlich die Matratze kaufen. Frau F. litt offensichtlich unter dem Zustand der Wände und wies mich ausdrücklich darauf hin. Ich berührte die Außenwand des Wohnzimmers. Sie schien nicht feucht zu sein, aber man sah die Reste von vielen Farbschichten, und dass Stücke herausgefallen waren. Frau F. erwähnte auch wie diese Lebensumstände sie in Bezug auf ihre Kinder belasteten. Die Wohnzimmerwand Ich hätte noch weitere Fragen gehabt, z.B. zur Strom-, Wasser- und Gasversorgung. Da dies ein generelles Problem ist, nahm ich an, dass eine solche Auskunft auch später leicht zu erhalten sein müßte. Das bestätigte sich aber nicht, und ich bin mittlerweile auch der Meinung, dass man zu diesen Themen keine eindeutige Antwort bekommen wird. Es ist bekannt, dass viele Stromrechnungen nicht bezahlt werden, was auch ein Grund für die Stromsperren ist. Wie mein Gastgeber mir erzählte, wird der Rechnungsbetrag bei allen Gehaltsbeziehern gleich vom Gehalt abgezogen. Unter dem gegebenen Lebensumständen kann man nicht jedem gleich den Strom sperren, wenn er die Rechnung nicht bezahlt. Vermutlich ist der Verbrauch manchmal auch gar nicht so leicht zuzuordnen. |